Bevor wir konkret auf die Pali-Tuch-Thematik eingehen, wollen wir über den Kontext unserer inhaltlichen Auseinandersetzung sprechen.
Von uns als Plenum wurde immer wieder während des Vorbereitungsprozesses des Festivals eine Positionierung zum Tragen von Pali-Tüchern gefordert. Dies passierte in einer Art und Weise, die wir als unsolidarisch empfinden. Die Thematik wurde nicht durch einen „offiziellen Kanal“ z.B. durch Emails an uns herangetragen. Statt dessen wurden einzelne Antifees auf informellem Wege in Antifee-unabhängigen Kontexten und damit unpassenden Situationen konfrontiert. Dass dieser indirekte Kommunikationsstil nicht unüblich für die linksradikale Szene ist, macht es für uns nicht besser. Zusätzlich zu dem Weg der Kommunikation finden wir es auch nicht in Ordnung, wenn von außerhalb des Plenums versucht wird, uns Themen zu diktieren, mit denen wir uns auseinandesetzen sollen. [für uns wäre es etwas anderes wenn dies aus einer Betroffenenperspektive kommt –> dann finden wir eine Forderung à la „setzt euch mit dem shit mal auseinander“ absolut berechtigt]
Uns ist bewusst, dass es im letzten Jahr einen Vorfall gab und sich damit auseinandergesetzt werden muss, aber wir wollen uns die Art und Weise wie wir das tun selbst aussuchen. Alles andere ist ein Abwerten unserer Autonomie, ein Nicht-Wertschätzen unserer Arbeit – als Plenum, als Organisator_innen des Antifee Festivals.
Wir halten die Diskussion um das Tragen von Pali-Tüchern für wichtig, uns beschäftigen aber auch andere Themen, die vergleichsweise wenig Raum in der linksradikalen Szene erhalten. Auch deshalb empfinden wir es als Provokation, wenn identitäre Profilierungen gerade in diesen Räumen ausgetragen werden. Schade zudem wenn die Debatte dann nur noch anhand von Symboliken geführt und nicht mehr inhaltlich diskutiert wird.
Wir fordern einen respektvollen Umgang in der Szene, das heißt zum Beispiel unsere Schwerpunktsetzung uns zu überlassen. In diesem Fall wäre ein deutlich solidarischerer Umgang gewesen, an uns inhaltlich und als Plenum heranzutreten, und sich ggf. selbst einzubringen, z.B. die Organisation eines Workshop zu dem Thema auf dem Antifee anzubieten. Wer ein besonderes Anliegen für die Thematisierung der Diskussion auf dem Festival hat, kann sich selbst darum kümmern, anstatt diese Arbeit von uns einzufordern. Das Antifee läuft unter dem Motto „Von der Szene für die Szene“- die Mitgestaltung der Szene ist also fester Bestandteil des Festivals.
Wir wollen nicht polemisch an die Sache herangehen; Wir haben uns inhaltlich in dem Maße mit den unterschiedlichen Perspektiven zu der Thematik auseinandergesetzt, in dem es uns nach unserer Zeit und unseren Ressourcen möglich war und in dem Maße, in dem wir es im Bezug auf das Antifee für nötig gehalten haben.
Symbole tragen Geschichte! Die Geschichte des Palituchs ist lang, komplex und politisch aufgeladen.
Aus antideutscher Richtung wird immer wieder die Geschichte des Pali-Tuches aufgeführt. Diese ist vor allem von politischer Vereinnahmung geprägt. Ursprünglich Kopfbedeckung in ländlichen Gegenden des Nahen Ostens, wurde es von dem damaligen Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini in den 1930er Jahren zur Stärkung der nationalen Identität, eingesetzt. Al-Husseini rief mehrfach zu Progromen an Jüd_innen auf und war zudem fanatischer Anhänger und Komplize des Nationalsozialismus. Später machte Jassir Arafat, viele Jahre Anführer der palästinensichen Befreiungsorganisation (PLO), das Tuch zu seinem Erkennungszeichen. Die PLO forderte die Zerstörung des Staates Israel und wiederum die Ermordung der jüdischen Bevölkerung: Heutzutage wird das Palituch auch unter anderem von Nazis getragen, die darin das Symbol eines „nationalen Befreiungskampfes und ein klares antisemitisches Zeichen sehen. Die historisch gewachsene politische Bedeutung des Pali-Tuches ist nicht zu verkennen. Mehr zu dieser Perspektive u.a. auf: http://schoenistdasnicht.blogsport.de/
Diese Geschichtserzählung wird von postkolonialen Stimmen als zu einseitig kritisiert.
In fast allen Texten, die sich gegen das Tragen von Pali-Tüchern aussprechen, weil sie darin antisemitische Symbolik sehen, wird die meist weiß-deutsche Sprecher*innenposition nicht reflektiert. Die Problematik solch einer Praxis thematisiert Iman Attia in „Privilegien sichern, nationale Identität revitalisieren“ folgendermaßen: „Während hier also die Revitalisierung einer nationalen europäischen Identität ein konstitutives Außen, den Islam benötigt, dient der Antisemitismusvorwurf gegenüber als Muslim_innen Markierten der Konstruktion einer positiven historischen Identität als weiße Deutsche.“ und weiter: „Nicht nur trotz, sondern mehr noch: wegen der nazistischen Verbrechen wird die Verantwortung als Deutsche hervorgehoben, andere auf ihren Antisemitismus hinzuweisen.“
Andere bemerken, dass in der Anti-Pali-Tuch-Geschichtserzählung vernachlässigt wird, dass das Pali-Tuch nicht nur ein nationales und repressiv durchgesetztes Symbol war, sondern auch die Bedeutung von Widerständigkeit gegen den westlichen Kolonialismus trug.
Desweiteren wird das Argument hervorgebracht, dass das Pali-Tuch lange bevor es ein politisches Symbol wurde, vorwiegend eine kulturelle Bedeutung trug und das Menschen, die sich mit dieser Kultur verbunden fühlen, es als Bezug dazu tragen. Wir finden es sehr problematisch, wenn aus weiß-europäischer(-deutscher) Perspektive Leuten vorgeschrieben werden soll, welche Symboliken ihrer durch Kolonialismus ausgebeuteten Kultur sie tragen dürfen und welche nicht.
Gleichzeitig ist es schwierig kulturelle Symboliken schlichtweg zu „entpolitisieren“, besonders wenn sie nunmal ganz klar mit politischem Inhalt besetzt werden. Quasi die Betrachtung der Kultur als außerhalb von Politik.
Wir nehmen beide Standpunkte ernst, und sehen nicht, dass nur einer gültig sein kann. Es ist dem Thema geschuldet, den Diskurs nicht zu schließen, sondern ihn in seiner Komplexität stehen zu lassen und weiter zu ergänzen. Aus unserer weiß-deutschen Perspektive, sind wir nicht direkt von dem Konflikt betroffen, sodass es uns nicht möglich ist beurteilen zu können, welche persönlichen/biographischen Motivationen/ Erfahrungen/Bedeutungen hinter dem Tragen von Pali-Tüchern stehen können.
Wir sehen die mehrdimensionalen Bedeutungen des Pali-Tuchs, können aber nicht ignorieren, dass es auch Antisemitismus transportiert. Auf dem Antifee wollen wir keine antisemitischen Symbole. Aus diesem Grund würden wir uns wünschen, dass du nicht …