Das Antifee ist ein Festival aus der und für die linksradikale Szene, innerhalb derer wir die Auseinandersetzung mit Antisemitismus für ein essentielles Thema halten. Deswegen haben wir uns mit dem Tragen von Israel-Symboliken, allgemein und im speziellen Bezug auf das Festival, beschäftigt. Die Diskussion wird oft auf identitäre, nicht inhaltliche Art und Weise geführt. Umso mehr haben wir uns über den reflektierten Umgang mit dem Thema im Diskussionspapier zu Antisemitismus der Roten Flora aus dem Jahr 2004 gefreut. In diesem wird die Komplexität der Thematik deutlich und ein sensibler Umgang bezüglich des Tragens von Israel-Symboliken gefordert.
Obwohl das Festival einen anderen Rahmen darstellt als das Autonome Zentrum Rote Flora, haben wir uns entschlossen, einen Auszug aus dem Diskussionspapier hier wiederzugeben, in dem die auch für uns wichtigen Punkte treffend zusammengefasst sind. Dass wir keine Nationalsymbole auf dem Festival haben wollen war für uns von Anfang an klar, aber im Fall Israel ist das Ganze etwas komplexer:
„5. Der Streit um die Fahne
Die offensichtlich nicht auflösbare Widersprüchlichkeit zwischen einer – vor allem antikapitalistischen und antirassistischen – Kritik an Nationalstaaten im allgemeinen und der – sich historisch aus der Shoah herleitenden – Notwendigkeit eines israelischen Staates zeigt sich aktuell im Streit um das Tragen von Israel-Fahnen auf Demos der deutschen Linken: Entsprechend Israels Funktion als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden hat die israelische Fahne als Symbol eine besondere Bedeutung, die keiner Fahne irgend eines anderen Staates zukommt. Gleichzeitig symbolisiert diese Fahne auch einen gewaltförmig organisierten Nationalstaat – wie alle anderen National-Flaggen auch.
Ob Israel-Fahnen auf einer linken Demo oder Veranstaltung politisch Sinn machen, hängt unserer Meinung nach davon ab, ob im jeweiligen Kontext ihre Bedeutung als Symbol für einen Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden eindeutig im Vordergrund steht. Bei Anlässen, bei denen regelmässig gefordert wird, den Staat Israel aufzulösen und “die Juden ins Meer zu treiben”, z.B. am Al Quods-Tag oder auch bei einer Nazi-Demo, kann es durchaus sinnvoll sein, diesen Forderungen mit israelischen Fahnen entgegenzutreten. Auch kann auf einer Antifa-Demo zu den Verbrechen, die die Wehrmacht vor allem auch an Jüdinnen und Juden begangen hat, eine israelische Fahne durchaus Sinn machen.
Aus zwei Gründen werden wir selbst jedoch keine Israel-Fahnen verwenden:
1. Auch in Kontexten, in denen die Bedeutung der Israel-Fahne als Symbol für einen Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden im Vordergrund steht, lässt sich die Fahne nicht auf diese Bedeutung reduzieren – sie bleibt trotz allem immer auch eine Nationalfahne. Hier sehen wir die Gefahr, unter dem Wunsch einer klaren und eindeutigen Positionierung die genannten Widersprüchlichkeiten derart “aufzulösen”, dass eine linksradikale Kritik an Staat und Nation einfach ausgeblendet wird. Wichtig ist dabei für uns, dass das Zeigen der Israel-Fahne nicht die einzige Möglichkeit ist, die Anerkennung Israels als Konsequenz aus der Shoah öffentlich deutlich zu machen.
2. Abgesehen davon ist im Kontext der linken Szene die israelische Fahne mittlerweile mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen. Während es auf der einen Seite erschreckend ist, dass von vielen Linken gerade Israel-Fahnen auf den eigenen Demos per se als Provokation aufgefasst werden, ist es gleichzeitig inakzeptabel, wie Israel-Fahnen in den letzten Jahren immer wieder bewusst zur Provokation innerhalb der Szene instrumentalisiert wurden. Dies widerspricht sich leider nicht: Wenn beispielsweise versucht wird, sich mit Israel-Fahnen in die ersten Reihen einer Demo gegen Sozialabbau zu drängen, dann dienen die Fahnen nicht mehr dazu, eine bestimmte (möglicherweise marginalisierte) Position zum Thema der Demo in die Öffentlichkeit zu tragen. Hier wird ganz offensichtlich versucht, die israelische Fahne dafür zu funktionalisieren, eine Position bzw. eine Identität innerhalb einer Szene-Auseinandersetzung im Kontext der Demo möglichst machtvoll zu repräsentieren.
Durch die direkte Identifizierung mit dem Staat Israel und die indirekte mit den Jüdinnen und Juden wird dabei zusätzlich versucht, eine vollkommene moralische Unangreifbarkeit herzustellen. Dabei wird ein inner-deutscher Konflikt auf dem Rücken eines Symbols ausgetragen, das (auch) für die Konsequenzen deutscher Geschichte steht, was diesem Symbol ganz sicher nicht gerecht wird. Durch diesen inflationären und teilweise offensichtlich bewusst provokativen Gebrauch von Israel-Fahnen werden diese als Identifikationssymbol von einer bestimmten Strömung der deutschen Linken vereinnahmt. Die Widersprüchlichkeit zwischen der Notwendigkeit einer Kritik an Staat und Nation auf der einen Seite und der Notwendigkeit eines israelischen Nationalstaates auf der anderen ist für uns der Hauptgrund dafür, selbst keine Israel-Fahnen zu tragen.
Umgekehrt ist es gerade aufgrund dieser Widersprüchlichkeit vollkommen inakzeptabel, wenn israelische Fahnen angegriffen werden. Denn ein Angriff auf die Fahne Israels ist eben nicht nur ein Angriff auf ein nationalstaatliches Symbol, sondern immer auch ein Angriff auf ein Symbol für die Konsequenz aus der Shoah. Die hier thematisierte Widersprüchlichkeit muss als Bestandteil linker Politik gesehen werden, über den innerhalb der Linken eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden muss. Versuche, Menschen aufgrund ihres Tragens von Israel-Fahnen aus linken Zusammenhängen oder Räumen auszuschliessen oder sie sogar gewalttätig anzugreifen, lehnen wir entschieden ab.“